Anna Busl: Nicht die PKK ist terroristisch, sondern der türkische Staat

Der kurdische Aktivist Salman K. ist in einem PKK-Prozess in Koblenz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Die Generalstaatsanwaltschaft argumentierte in dem Verfahren, Bewährung sei nur im Falle einer Distanzierung von der PKK denkbar.

Am 25. März wurde Salman K. (57) vom OLG Koblenz nach §§ 129a/b StGB zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte zwei Jahre und vier Monate beantragt. Der Kölner Rechtshilfefonds Azadî e.V. hat mit einer seiner Verteidigerinnen, Rechtsanwältin Anna Busl, über das Verfahren gesprochen.

Was hatte die Anklage Ihrem Mandanten konkret vorgeworfen und wie bewerten Sie die Entscheidung des OLG-Senats?

Mein Mandant war beschuldigt worden, von 2018 bis 2020 als Gebietsleiter der PKK in Gießen und Mainz fungiert zu haben. Konkret wurde ihm vorgeworfen, als „Kader der PKK“ Demonstrationen, Kundgebungen und Kulturveranstaltungen organisiert zu haben. Eigentlich sind das alles legale Tätigkeiten, aber nicht, wenn diese der PKK dienten – begründete das Gericht und bezog sich auf die einhellige Rechtsprechung, wonach die Organisation als „terroristische, ausländische Vereinigung“ im Sinne des § 129b eingestuft werde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe über zwei Jahre beantragt und hätte damit außerhalb des bewährungsfähigen Bereichs gelegen. Ihre Argumentation: Bewährung sei nur im Falle einer Distanzierung von der PKK denkbar. Die mündliche Urteilsbegründung war im Vergleich mit so manch anderen Entscheidungen ziemlich sachlich, ist aber noch nicht rechtskräftig.

Die Verteidigung hatte Freispruch beantragt mit der Begründung, dass nicht die PKK als terroristisch zu bewerten sei, sondern der türkische Staat, der die gewaltsame und kriegerische Bekämpfung von Kurd:innen einseitig und ohne rechtfertigenden Anlass wieder aufgenommen hatte. Seitdem und besonders im Anklagezeitraum werde die kurdische Bevölkerung kriegerisch bekämpft. Der türkische Staat handele völkerrechtswidrig, terroristisch und menschenrechtswidrig. Er könne als Unrechtsregime nicht den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention genügen.

Salman K. war – eine Seltenheit in derartigen Verfahren – von Anfang an haftverschont. Was war der Grund hierfür?

Das ist richtig. Salman K. wurde zwar vorläufig festgenommen, aber noch am selben Tag haftverschont. Er hatte, nachdem er von dem Haftbefehl erfahren hatte, sich selbst gestellt. Fluchtgefahr war daher nicht mehr begründbar.

Und wie hat sich euer Mandant im Prozess verhalten?

Salman K. hat während des Prozesses dargelegt, warum er aufgrund seiner Biographie für die Rechte des kurdischen Volkes, seiner Kultur und Sprache eingetreten ist und warum für ihn Frieden und Völkerfreundschaft unabdingbar seien: „Ich bin die Folge und nicht die Ursache des Konflikts“, hatte er u.a. gesagt. Er legte dar, warum er Demonstrationen etc. organisiert hat und warum ihm das wichtig ist. Weitere Angaben machte er nicht, etwa zu anderen Personen oder zur Struktur. Dies wurde vom Senat aber nicht gegen Salman K. gewertet, von der Generalstaatsanwaltschaft schon.

Die Verteidigung hat über Anträge ausführlich die politischen Entwicklungen in der Türkei – insbesondere bezogen auf den Tatzeitraum – dargestellt. Ist der Senat hierauf eingegangen?

Wir haben insbesondere die völkerrechtswidrigen Angriffskriege des türkischen Staates auf die kurdischen Gebiete, die Aufkündigung des Friedensprozesses, den Umbau zu einer Diktatur und die jahrzehntelange Unterdrückung des kurdischen Volkes thematisiert. Der Senat ist in seiner Urteilsbegründung auch darauf eingegangen und hat insbesondere den radikalen, jahrzehntelangen Assimilierungsprozess, der Verhaftungen und Folter bedeutete, angesprochen. Und auch die Aufkündigung des Friedensprozesses 2015 durch den türkischen Staat als erwiesen bezeichnet. Dennoch: Weil die PKK nach wie vor auf „Mord und Totschlag“ ausgerichtet sei, verhängte das OLG die gesetzliche Höchstdauer der Bewährung von fünf Jahren, die Bestellung eines Bewährungshelfers und u.a. das Verbot, Spenden zu sammeln.

Azadî e.V.: Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots bleibt wichtigste Forderung

Um das Dogma der „einhelligen Rechtsprechung“, wonach es sich bei der PKK um eine „terroristische“ Vereinigung im Ausland handelt, die auf „Mord und Totschlag“ ausgerichtet ist, durchbrechen zu können, bleibt laut Azadî e.V. die Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots die wichtigste Forderung. Es sei zwar anerkennenswert, dass Gerichte inzwischen die Verfolgung von Kurdinnen und Kurden durch das türkische Staatssystem nicht mehr bestreiten, doch bleibt der bittere Fakt, dass jene, die sich der Unterdrückung widersetzen oder für eine friedliche Konfliktlösung eintreten, auch in Deutschland als „Terroristen“ stigmatisiert und verurteilt werden. „Dagegen bleibt der Aggressor nicht nur unbehelligt, sondern wird in seiner Vorgehensweise von den hiesigen politisch Verantwortlichen ökonomisch und militärisch noch unterstützt. Das PKK-Verbot ist ein weiteres Element“, so Azadî e.V.

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