ANTIPALÄSTINENSISCHE REPRESSION: »Kriminalisierung linker Proteste hat Tradition«

Hamburg: Allgemeinverfügung der Polizei gegen Palästina-Demos ist rassistisch und verfassungswidrig. Ein Gespräch mit Amin Rjoob
Interview: Jakob Reimann

Amin Rjoob ist Mitglied der »Palästina-Allianz Hamburg«

Demonstration für die Freiheit Palästinas und aller unterdrückten Völker am Sonnabend, 2. Dezember, um 15 Uhr auf dem Hachmannplatz

Wenige Tage nach der neusten Eskalation des Palästina-Konflikts am 7. Oktober verhängte die Hamburger Polizei eine Allgemeinverfügung zum Verbot von Demonstrationen mit »propalästinensischen« Inhalten. Was genau besagt die Verfügung, und wie kam es dazu?

Die Allgemeinverfügung stellt palästinasolidarische Menschen unter Generalverdacht und unterstellt ihnen eine Hamas-Nähe, Antisemitismus und auch Islamismus. Durch diese Konstruktion wird dann in der mittlerweile 28 Seiten langen Verfügung argumentiert, dass von palästinasolidarischen Kundgebungen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe.

Werden dazu Beispiele angeführt, woran sich das festmachen soll?

Im Verfügungstext werden Beispiele von Demos aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengetragen, um die an den Haaren herbeigezogenen Behauptungen zu stützen. Aus Sicht der Behörden existiert nur ein Extrem. Doch die breite Masse, die seit Wochen in Hamburg friedlich protestiert, wird damit nicht repräsentiert.

Welcher Funktion dient diese umfangreiche Verfügung Ihrer Meinung nach?

Sie dient den Behörden als Waffe, um palästinensische Menschen und ihre Aktivitäten zu kriminalisieren und ein politisches Feindbild zu manifestieren. Trotz der erdrückenden Situation haben wir in den letzten Wochen zahlreiche Kundgebungen veranstaltet, in denen wir gegen selektive Grundrechtseinschränkungen und für unsere Meinungsfreiheit gekämpft haben. Entgegen der Einschätzung der aus meiner Sicht verfassungswidrigen und rassistischen Allgemeinverfügung sind alle Versammlungen ausnahmslos friedlich verlaufen.

Selbst bei genehmigten Kundgebungen wurden Ihnen oft Steine in den Weg gelegt.

Genehmigungen erhalten wir manchmal erst wenige Stunden vor Demobeginn, um so eine Mobilisierung unmöglich zu machen. Es gab willkürliche Auflagen, dass pro 50 Teilnehmern nur eine Palästina-Fahne erlaubt ist. Dies wurde zum Teil damit begründet, die palästinensische Flagge würde Teilnehmer emotionalisieren. Einmal kam eine halbe Stunde nach Demobeginn die Auflage, die Parole »Free Palestine« darf nicht mehr gerufen werden. Juristische Grundlagen werden nie geliefert und inhaltliche Auseinandersetzung mit der Verhältnismäßigkeit der Auflagen vermieden.

Das sind im Palästina-Kontext die schärfsten Repressionen aller 16 Bundesländer. Warum gerade in Hamburg?

Uns wundert es nicht, dass wir hier mit diesen Repressionen konfrontiert sind. Kriminalisierung sowie Sabotage migrantischer und linker Proteste haben in Hamburg Tradition. Ob zu Hanau, Kurdistan oder anderen Themen ­– immer wieder begegnen wir hier der unverhältnismäßigen Gewalt der Exekutive. 2003 setzte die Hamburger Polizei Wasserwerfer, Pfefferspray und Gewalt gegen eine Schülerdemo ein, mit der junge Menschen gegen den Krieg der USA gegen Irak protestierten. Hier sehe ich die Kontinuität.

Im Hinblick auf palästinensische Gruppen ist diese Art der Repression jedoch tatsächlich neu. Bisher waren wir kleiner organisiert, und es gab keine nennenswerte Vernetzung zu anderen linken Gruppen, weshalb die Behörden ohne großen Aufwand solch tiefgreifende Repressionen durchsetzen konnten. Doch anstatt ohnmächtig zu bleiben, haben verschiedene Organisationen jetzt die »Palästina-Allianz Hamburg« gegründet, um unsere Mitbürger langfristig zu informieren und aufzuklären.

Erfahren Sie aus der Gesellschaft oder der Politik Rückhalt und Unterstützung?

Wir erhalten zahlreiche solidarische Nachrichten, und unsere Hamburger Mitbürgerinnen und Mitbürger unterstützen unser Anliegen. Aus den Reihen der Politik erwarten wir erst gar keine Unterstützung. Die aktuelle politische Situation in der Bundesrepublik und die rechte Diskursverschiebung sind den regierenden und oppositionellen Parteien zu verdanken. Was können wir von einer Politik erwarten, die ideologisch und mit Rüstungslieferungen einen sich anbahnenden Genozid unterstützt? Doch weder von Repressionen der Behörden noch mangelnder Unterstützung der Politik lassen wir uns entmutigen, denn die Menschen im besetzten Palästina brauchen unsere Unterstützung und volle Solidarität. Wir müssen die Stimme dieser Menschen sein.

junge Welt 1.12.23