Exklusivinterview mit Genossin Eda an ihrem 15. Tag des offenen Hungerstreiks

Seit dem 18.03.2023, der internationale Tag der politischen Gefangenen, ist Eda Deniz Haydaroglu (22), Mitglied der revolutionären Jugendorganisation “Föderation der Revolutionären Jugend der Türkei”, im unbefristeten Hungerstreik für Gerechtigkeit!

Im Rahmen des Hungerstreiks werden mehrere Veranstaltungen organisiert. Klickt hier um das Programm anzuschauen und ladet das Flyer der Kampagne gegen Paragraph 129 herunter.

Als Teil des Komitees “Weg mit dem Paragraphen 129”, hat Samidoun Netzwerk zur Verteidigung palästinensischer Gefangenen am 01.04.2023 an der täglich organisierte Mahnwache vor dem Bundesjustizministerium teilgenommen und ein Interview mit Eda geführt.

Wir laden alle freien Menschen und organisierten Kräfte ein, unsere Genossen in ihrem Kampf für Gerechtigkeit zu unterstützen. Ladet sie zu euren Aktionen und Seminaren ein, und verschafft Öffentlichkeit für ihren tapferen Kampf: ozgulihsanserkan129@gmx.de

Hallo Eda! Könntest du uns erzählen, wieso ihr heute versammelt seid?

Wir sind heute vor dem Bundesjustizministerium und fordern Gerechtigkeit! Wir sind im Hungerstreik und haben klare Forderungen, die die Behörden nachgehen müssen. Unsere Genossen wurden auf Grundlage der Paragraphen 129b zu Unrecht verhaftet und wir möchten die Menschen auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam machen und Öffentlichkeit verschaffen. Dafür haben wir uns hier versammelt.

Wer befindet sich heute im Hungerstreik? Und was sind eure Forderungen?

Ich und meine Genossin Befin Özder sind seit dem 18.03.2023, Tag der politischen Gefangenen, im Hungerstreik (seit 15 Tagen). Ich bin in einem unbefristeten Hungerstreik und Berfin ist für 30 Tage im Hungerstreik. Aus Österreich, Griechenland, Belgien und Niederlanden sind mehrere Genossen für 10, 7 oder 3 Tage im Hungerstreik. Darüber hinaus sind zwei Grup YORUM Bandmitglieder für 10 Tage im Hungerstreik. Am 18.03.2023, Tag der politischen Gefangenen, haben auch hunderte von Menschen aus ganz Europa einen eintägigen Hungerstreik gemacht.

Wir fordern alle dasselbe: Gerechtigkeit!

Konkreter lauten unsere Forderungen so:

Alle 4 inhaftierten Genossen: Özgül Emre, Ihsan Cibelik, Serkan Küpeli und Hasan Unutan, wurden auf Grundlage der Paragraphen 129 a und b StGB inhaftiert. Vorwurf ist die Mitgliedschaft in einer sogenannten “ausländischen terroristischen Organisation”. Seit mehreren Jahren werden Oppositionelle in Deutschland, die sich hier aktiv gegen die faschistische Herrschaft in der Türkei einsetzen, über diplomatische Forderungen verfolgt und kriminalisiert. Die Türkei übermittelt dabei regelmäßig Listen mit Oppositionellen, die hier verfolgt werden sollen. Auch die 4 nun inhaftierten Antifaschisten befanden sich auf diesen Listen. Die BRD nutzt für diese Verfolgung den Paragraphen 129b, welcher hochbrisant ist. Er ist ein Relikt der Nazizeit und direkter Nachfolger des Landesverratsgesetzes der Nationalsozialisten. Die Aliierten hatten das Gesetz verboten, er wurde jedoch im Zuge des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes wieder in das Gesetz aufgenommen, um “Nazis am Erstarken zu hindern”. Fest steht, dass durch diese Paragraphen jedoch hauptsächlich Oppositionelle aus der Türkei verfolgt und inhaftiert werden. Wir fordern, dass der Naziparagraph 129 a und b StGB diskutiert, in Frage gestellt und aus dem Gesetz gestrichen wird. Für Verfolung von Terrorstraftaten hat das Strafrecht alle nötigen Mittel, es bedarf keiner Gesinnungsjustiz, welche ein Überbleibsel der NS-Zeit ist!
Die 4 inhaftierten Antifaschisten haben jeweils gültige Anschriften in Deutschland. Sie wurden auch alle in ihren jeweiligen Wohnungen verhaftet. Serkan Küpeli ist verheiratet, Student in Hamburg und wurde 15 Tage nach der Geburt seines ersten Kindes verhaftet. Hasan Unutan ist ebenfalls verheiratet, besitzt ein Werbeunternehmen in Mannheim und ist Vater von 3 Kindern. Allesamt sind Teil des öffentlichen Lebens, ihre politischen Aktivitäten werden Tage im Voraus im internet angekündigt, sie haben regelmäßig Arzt- und Behördentermine, die sie wahrnehmen etc. Die von der Staatsanwaltschaft behauptete Fluchtgefahr ist daher vage und kein Grund, diese Menschen seit fast einem Jahr in unbestimmten Verhältnissen in Gefangenschaft zu halten. Untersuchungshaft ist ultima ratio und darf nur angewandt werden, wenn kein milderes Mittel geeignet ist. Wir fordern, dass die Untersuchungshaft aus genannten Gründen aufgehoben wird und dass der Prozess auf freiem Fuß fortgesetzt wird.
Der Generalbundesanwalt Peter Frank hat in seiner Funktion die Haftbefehle gegen die inhaftierten Antifaschisten unterzeichnet. Kurze Zeit später ist er auf Einladung in die Türkei geflogen und hat sich dort u.a. mit dem Justizminister und Premierminister Recep Tayyip Erdogan getroffen und wurde dort geehrt. Wir fordern, dass erklärt wird, was Peter Frank in der Türkei zu suchen hatte, was er mit Erdogan und co. besprochen hat und wofür er in der Türkei geehrt wurde? Wir möchten wissen, ob Peter Frank für die Verfolgung von türkeistämmigen Oppositionellen in Deutschland geehrt wurde.
Die Verfolgung von türkeistämmigen Antifaschisten in Deutschland erfolgt auf Grundlage von Verfassungsschutzberichten. Diese Skandalbehaftete Behörde, die tief in die NSU-Verbrechen verstrickt war und immer wieder durch Skandale in Form von nationalsozialistischer Gesinnung auffällt, hat keine Legitimität in der Verfolgung von Antifaschisten. Diese Verfassungsschutzberichte dienen als Vorfeldkriminalisierung, werden von Behörden als Tatsachen behandelt und jegliche Repression wird mit diesen Berichten begründet. Zumal ist diese Vorgehensweise ein Angriff auf Rechtstaatlichkeit, da in einem Rechtstaat nicht Geheimdienste, sondern Gerichte entscheiden, wer sich strafbar gemacht hat. Wir fordern, dass die Unschuldsvermutung erneut in den Mittelpunkt rückt und Verfassungsschutzberichte nicht als Tatsachen herangezogen werden.
Seit geraumer Zeit werden in politischen Verfahren in Deutschland immer wieder digitale Dateien als Beweismittel herangezogen. Diese Vorgehensweise sorgt teilweise für skandalöse Rechtsprechungen. Digitale Dateien sind in ihrem Grundwesen jeglicher Form von Abänderung, Neuverfassung, Löschung etc. ausgesetzt. Es ist bei aktuellem technologischen Stand nahezu unmöglich, auszuschließen, dass digitale Dateien seriös und glaubwürdig sind, oder ob sie nicht im nachhinein verändert wurden. In Deutschland reicht jedoch die Gesamtschauwürdigung. Das bedeutet, der Richter entscheidet, ob er ein Beweismittel akzeptiert, oder nicht. Auch das ist ein Angriff auf unsere Rechte, weil hier keine Rechtssicherheit mehr vorhanden ist. Uns wird die Möglichkeit genommen, uns im Zweifel gegen abgeänderte oder neu verfasste digitale Dateien juristisch zur Wehr zu setzen, weil hier alles im Ermessen eines Richters liegt. Wir fordern daher, dass digitale Dateien nicht als Beweismittel in politischen Verfahren angeführt werden, da politische Interessen auch immer die Gefahr von Missbrauch bergen und es keine Möglichkeit gibt, diese Gefahr effektiv aus dem Weg zu räumen.
Paragraph 129b wird als Instrument zum Schutz vor Terrorismus vermarktet, aber wie wird er in der Realität angewendet?

Man kann kurz und knapp sagen, dieser Paragraph dient als Instrument um den antifaschistischen und revolutionären Kampf zu zerstören. Der Paragraph greift all unsere demokratischen Rechte und Freiheiten an. Es ist nichts weiter als legales Unrecht.

Wer sind die vier inhaftierte Genossen? Was sind ihre Vorwürfe und welche Beweise hat der Staat benutzt um sie zu verhaften?

Özgül Emre ist in Deutschland geboren aber in der Türkei in einer Umgebung von Revolutionären aufgewachsen. Sie hat im frühen Alter die Klassenunterschiede in der Türkei mitbekommen und die Repressionen gegen Revolutionäre wie Folter und Morde auf offener Straße miterlebt. Ihr Onkel ist einer der Menschen der von der türkischen Polizei ermordet wurde. Mit 14 Jahren hat sie sich dazu entschieden, sich dem antifaschistischen revolutionären Kampf anzuschließen. Sie hat ebenfalls Folter miterlebt und wurde mehrmals in Gewahrsam genommen. Sie hat als antifaschistische Journalistin gearbeitet für das Magazin Kurtuluş. Jedoch musste sie nach einiger Zeit nach Europa, weil sie in der Türkei verfolgt und auf Terrorlisten gesetzt wurde. Aber auch in Europa und in Deutschland, wo sie ein politisches Asyl bekommen hat, hat sie weiterhin politische Arbeit gegen Faschismus geleistet. Sie hat Konzerte, Kundgebungen, und Demos gegen den AKP Faschismus und Rassismus in Deutschland und weltweit mitorganisiert. Sie war außerdem bei der Antidrogen Arbeit in Deutschland engagiert und hat auch weiterhin in Deutschland als Journalistin, bei der Welt Heimat Zeitung aus Baden-Württemberg, gearbeitet.

Ihsan Cibelik ist einer der ältesten Band Mitglieder der revolutionären antifaschistischen Musikband Grup Yorum, die 1985 gegründet wurde und für ihre antifaschistische revolutionäre Musik bekannt ist. Grup Yorum ist sowohl in der Türkei als auch weltweit und sogar in Deutschland mit Repressionen konfrontiert. Ihsan musste wegen der Verfolgung und der Eintragung in Kopfgeldlisten in der Türkei nach Europa auswandern. Er hat auch weiterhin in Europa und in Deutschland als Bandmitglied von Grup Yorum antifaschistische Arbeit lässt.

Serkan Küpeli ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er hat in Kulturvereinen in Deutschland Revolutionäre und Antifaschisten kennengelernt. Im jungen Alter hat er sich dem antifaschistischen Kampf angeschlossen, indem er Kundgebungen, Demos und auch Konzerte von Grup Yorum mitorganisiert und für diese Veranstaltungen mobilisiert und an den teilgenommen. Kurz vor seiner Verhaftung wurde er Vater. Sein Kind war gerade mal 14 Tage alt als er verhaftet wurde.

Hasan Unutan ist in der Türkei geboren und in ärmeren Umständen aufgewachsen. Er ist dann aus verschiedenen Gründen nach Europa gekommen und hat hier in Deutschland geheiratet und Kinder bekommen. Er ist bekannt in seiner Umgebung als ein Freund von Revolutionären, Grup Yorum Sympathisant und ein Antifaschist. Er hat mehrere Kundgebungen gegen den AKP Faschismus, gegen Rassismus, gegen die Repression gegen Grup Yorum, und sowie Gedenkveranstaltungen für Hanau und NSU Morde in Deutschland organisiert. Er hat dann an vielen Konzerten von Grup Yorum teilgenommen und auch für sie mobilisiert.

In der Anklageschrift der vier Genossen steht auch nicht viel mehr als das was ich erwähnt habe. Die “Beweise”, die der Staat nutzt, sind in den vier Fällen die Teilnahme und Organisation von genehmigten offiziell durchgeführten Kundgebungen, Demos, Konzerten, und Veranstaltungen wie Hochzeit, Verlobung oder Beerdigungszeremonie. Konkret handelt es sich hierbei um Konzerte von Grup Yorum und vor allem das Konzert 2014 in der König Pilsener Arena in Oberhausen, woran 15.000 Menschen teilgenommen haben. Der Konzert wurde unter dem Motto “ein Herz und eine Stimme gegen Rassismus” organisiert.

Im Fall der Nutzung von der Teilnahme an einer Verlobung als “Beweismittel” handelt es sich um die Verlobung von zwei Grup Yorum Mitglieder im Dezember 2021. Hier überreicht Özgül Emre dem Paar die Verlobungsringe, was der Staat nutzt, um hinzudeuten, dass sie Kader einer terroristischen Organisation ist. Und bei der Beerdigungszeremonie handelt es sich um die Beerdigungszeremonie von Birsen Kars, die im Februar 2022 gestorben ist. Alle vier haben daran teilgenommen und Özgül Emre hat den Sarg von Birsen getragen.

Was bei Hasan Unutan auffällig ist, ist dass in seiner Anklageschrift auch die Teilnahme an der Demo, die wir am 27. November 2022 in Berlin organisiert haben. Das war eine Demo gegen die Paragraphen 129. Und Hasan Unutan soll an dieser Demo teilgenommen haben und die Lautsprecheranlage aufgebaut haben. Als Beweismittel wurde auch erwähnt, dass er das Foto von Özgül Emre als sein Profilbild auf Facebook genutzt hat. Das sind also die große “Straftaten” und “Verbrechen” unserer Genossen!

Du hast Peter Frank erwähnt und dass er von Erdogan geehrt wurde. Wer ist er und welche Rolle spielen die Interessen des türkischen Imperialismus bei der Verhaftung der vier Genossen?

Peter Frank ist der General Bundesanwalt Deutschlands der auch gleichzeitig den Haftbefehl unserer vier Genossen angeordnet hat. Er ist kurz nach der Verhaftung in die Türkei gereist hat sich mit seinem Amtskollegen und Erdoğan getroffen. Er wurde dort von der Türkei geehrt und eine neue “Hit-Liste” bekommen. Wir wissen genau, dass es sich dabei um die politischen Interessen handelt, und wir gehen stark davon aus dass es sich dabei um die Verhandlung von Revolutionären handelt. Der Bundesanwalt ist der jenige, der entscheidet, ob die Untersuchungshaft weiter durchgeführt wird. Die Entscheidung dafür ist willkürlich und basiert sich ausschließlich auf politischen Gründen.

Wie sehen die nächste Monaten aus? Welche Prozesse finden statt und welche Veranstaltungen plant ihr?

Wir haben jetzt mit einer Mahnwache vor dem Bundesjustizministerium angefangen. Wir sind während der Woche täglich von 11 bis 18 Uhr da. Samstags und sonntags organisieren wir Kundgebungen in Berlin-Kreuzberg. Wir möchten am 17. April eine Pressekonferenz organisieren vor dem Bundesjustizministerium, wo wir erklären, warum und wofür wir im Hungerstreik sind. Das Verfahren unserer Genossen Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli Wird wahrscheinlich am 18. April in Düsseldorf stattfinden.

https://samidoun.net/de/2023/04/exklusivinterview-mit-genossin-eda-an-ihrem-15-tag-des-offenen-hungerstreiks/