Anlässlich des 40. Jahrestages der „Urteilsverkündung“ im Stammheim-Prozess fand gestern eine rechtswissenschaftliche Veranstaltung statt, die den Auftat für ein Forschungsprojekt darstellt.
Vor 40 Jahren am 28. April 1977 wurde das „Urteil“ in dem sogenannten Stammheim-Prozess in der Mehrzweckhalle auf dem Gelände der JVA Stuttgart-Stammheim gegen die Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe ausgesprochen. Ebenso wäre an diesem Tag auch mit aller Härte ein „Urteil“ für Ulrike Marie Meinhof und Holger Meins ausgesprochen worden. Dieser beiden aber hatte sich der „urteilende“ Apparat bereits vorher entledigt, sodass ein zu verkündendes „Urteil“ hier nicht weiter notwendig war.
Anlässlich dieses sich zum 40. mal jährenden Urteils fand am gestrigen Abend eine rechtswissenschaftliche Veranstaltung dazu an der Universität Hamburg statt. Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Florian Jeßberger (Hamburg), die Historikerin Prof. Dr. Gabriele Metzler (HU-Berlin) sowie der damals vom Prozess ausgeschlossene Rechtsanwalt Kurt Groenewohld (Hamburg) luden zu einer Vortragsveranstaltung im Lichthof der StaBi ein.
In der eröffnenden Rede durch Prof. Dr. Jeßberger kündigte dieser ein zukünftiges Forschungsprojekt zu dem Gerichtsprozess an, das darauf ausgelegt sein würde, die Protokolle und Tonbandaufnahmen des Prozesses verfügbar zumachen. Ein sehr lobenswerte Idee, sind doch diese Protokolle auch nach bisher 40 Jahren noch immer nicht öffentlich zugänglich gemacht worden. Ein wenig Missmut machte sich aber breit, als er schilderte, dass dieses Vorhaben von der VolkswagenStiftung gefördert und in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv in Koblenz entstehen wird. Von an stellten sich Fragen: Eine Erarbeitung eines höchst umstrittenen Rechtsvorganges, der auch noch mit der Todesstrafe endet, wird von Konzernen und Staat unterstützt? Dazu müsste sogar ein einhelliger Sozialdemokrat Fragen: „Gibt es hier nicht ein Interessenkonflikt“?
Die Vorträge, die von Prof. Dr. Jeßberger und Prof. Dr. Metzler gehalten wurden, waren sehr auf den Prozess zugespitzt. Immerhin nahmen aber beide den immensen politischen Druck dieses Prozesses und damit auch die Tragweite des sozialdemokratischen Regierens von Helmut Schmidt über die Bundesanwaltschaft mit diesen Prozess wahr. Ebenfalls wurde von beiden betont, dass die gesellschaftlichen Umstände dieser Zeit der 1970er vor großen Problemen stand. Prof. Dr. Metzler machte dabei deutlich, dass staatliches Regieren auch bedingt durch die Krise der Kapitalakkumulation ab Ende der 60er schwierig bis unmöglich geworden wäre. Es wurde aber von beiden des öfteren hervor gehoben, dass der Prozess selbst ein absolut fehlerhaftes und dem Apparat entglittenes Verfahren war, das nichts mit irgendeiner Idee von Rechtsstaatlichkeit zu tun gehabt habe. Ebenfalls Erwähnung fand der Kampf der Gefangenen gegen Isolation mittels Hungerstreiks.
Unterbelichtet blieb aber bei der Historikerin Prof. Dr. Metzler der Gesamtzusammenhang, indem die Ereignisse standen. Zwar erwähnte sie gesellschaftlichen Eckpunkte wie die Verschwiegenheit zur NS-Vergangenheit Ende der 50er, die zunehmende Politisierung in den 60ern, die „Spiegel-Affäre“ und Notstandsgesetze sowie das Ende des wirtschaftlichen Wachstums Ende der 60er. Die großen Zusammenhänge aber, in denen die Angeklagten handelten, blieb ausgeblendet. So wurde die antikommunistische Konstruktion der Bundesrepublik mit ihren Institutionen und rechtlichen Konsequenzen zur Verfolgung von Kommunisten durch FDJ-, und KPD-Verbot und ihrer kommunistischen Betätigung durch die entsprechende Einrichtung von Organisationen und Strafgesetzen ab spätestens 1951 gar nicht erwähnt (Max Reimann wurde sogar bereits 1947 verhaftet. Die Umsetzung entsprechender Gesetze folgte in der BRD im 1. Strafänderungsgesetz im August 1951). Auch die imperialistische und militärische Aufrüstung gegen den damaligen Ostblock, wie beispielsweise durch die Gründung der Bundeswehr, der EWG oder auch der NATO blieb außerhalb des Vortrages. Ebenso nicht erwähnt, wurden die Politisierung der Studentenschaft, die Aggression gegen Rudi Dutschke und der Tod Benno Ohnesorgs, der sich dieses Jahr zum 50. mal jährt.
In Bezug auf die RAF blieb auch der gesamte internationale Zusammenhang, indem die Vorgänge stattfanden, ausgespart. Jegliche globalen Ereignisse wie Vietnamkrieg, Sechstagekrieg, Kämpfe gegen Diktaturen in Ländern wie Persien, Griechenland oder Spanien ließ Prof. Dr. Metzler unbeachtet. Auch die öffentliche Hetze durch die Springerpresse fand kaum Raum zur Erörterung.
Das ist schon zu bedauern, sind es doch gerade diese Ereignisse, die die damals Angeklagten überhaupt dazu gebracht haben, gegen Imperialismus und Repression vorzugehen. Stattdessen konnten sich die Vortragenden ein weiteres mal nicht von den üblichen Vorurteilen und Stereotypien befreien, die die Angeklagten und ihren politischen Hintergrund als „terroristisch“ zu bezeichnen und ihnen den bis auf den heutigen Tag nicht erwiesenen Selbstmord in die Schuhe zu schieben. Dabei sind diese Punkte bis heute in keinster Weise nach zu vollziehen. Im Fall des „Terrorismus“ kann im Gegenteil im Sinne eines „Terrorismus“ höchstens davon gesprochen werden, die Angeklagten hätten sich gegen den Terror, gegen den stattfindenden Krieg und Mord und gegen ihre eigene Zerstörung durch Isolationsfolter eingesetzt.
Ähnlich wurden auch die gesellschaftliche Entwicklungen nach dem 18. Oktober benannt. So habe sich die Bewegung grün orientiert, und die Grüne Partei sei aus dem Protest entstanden. Für einige mag das vielleicht sogar gelten. Für viele andere Akteure mag das aber mit Sicherheit nicht gelten. Diese Leute haben weiter gegen Krieg und Ausbeutung, gegen Mord, Isolationshaft und Imperialismus gekämpft.
Blickt man nun auf das angekündigte Forschungsprojekt, ist nur zu hoffen, dass die Beteiligten noch an Reflektiertheit dazu gewinnen, und ebenso, dass sie auch die Angeklagten des Prozessen in ihrer damaligen Situation ernst nehmen, deren Quellen gründlich nachgehen und sie nicht ein weiteres mal diffamieren und kategorisch abtun. Weiterhin bleibt noch zu hoffen, dass sie ihre eigene Wissenschaftlichkeit nicht um den Preis einer Angepasstheit und Bequemlichkeit preisgeben. Im Negativen bleibt die Sorge – jene Sorge um eine weitere Objektivierung von Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Holger Meins zu Gunsten einer Legitimation der repressiven Maßnahmen gegen sie. Es bleibt auch die Sorge darum, dass ein postkapitalistisches Rechtssystem, das Menschenrecht ernst nimmt und Repressionen verhindert, anstatt sie zu produzieren, ein weiteres mal undenkbar gemacht werden soll.
Forschung als ein Prozess einer Wahrheitsfindung muss dem Menschen dienen, nicht dem System. Er darf sich nicht vereinnahmen lassen von Staat und Kapital, von Bonzen und Machthabern. Die Geschichte der RAF und ihren Akteuren darf sich unter keinen Umständen ein weiteres mal einengen und einsperren lassen. Wir werden dafür kämpfen, dass die Beherrschbarkeit ihrer eigenen Geschichte nicht in die Hände von Kapital und staatlicher Repression gelangt.
Keine Fälschung der Geschichte!
Kampf dem imperialistischen Apparat!
Link des Projekts:
www.stammheim-prozess.de