MENSCHENRECHTE USA Bis zum letzten Atemzug

USA: Todkranker Politischer Gefangener Mutulu Shakur nach 36 Jahren Haft entlassen

Der afroamerikanische Arzt Mutulu Shakur gehört zur Gruppe politischer Gefangener in den USA, die jahrzehntelang eingesperrt sind, weil sie als Aktivisten oder Militante der schwarzen Befreiungsbewegung gegen Rassismus und moderne Sklaverei gekämpft haben. Nach 36 Haftjahren soll Shakur nun endlich auf Bewährung freigelassen werden, meldete Anfang der Woche Liberation, die Zeitung der Party for Socialism and Liberation.

Das US-Newsportal gab damit eine Mitteilung der Gruppe »Family & Friends of Mutulu Shakur« vom 11. November wieder, die besagte: »Heute entschied die US-Bewährungskommission, Dr. Mutulu Shakur, einen 72jährigen Großvater und angesehenen Heiler und Ältesten, in Kürze auf Bewährung freizulassen.« Die Kommission habe festgestellt, »dass seine Freilassung kein Risiko darstellt, insbesondere in Anbetracht seines Gesundheitszustands«. Shakur sei »einer von Tausenden älteren Gefangenen«, denen »auch mehr als ein Jahrzehnt nach Verbüßung ihrer gerichtlich festgelegten Mindeststrafe wiederholt die Entlassung auf Bewährung verweigert« wurde. Er sei deshalb »zutiefst dankbar für das breite Vertrauen und die Unterstützung«, die er im Laufe der Jahre erfahren habe. »Wir werden ihn mit großer Freude zu Hause willkommen heißen«, schlossen die Angehörigen ihre Erklärung.

Der am 8. August 1950 in Baltimore (Maryland) geborene politische Gefangene befindet sich seit 1986 in Haft. Ihm wurde vorgeworfen, an politischen Enteignungsaktionen der Black Liberation Army und an der Befreiung Assata Shakurs aus US-Gefangenschaft beteiligt gewesen zu sein. Die Aktivistin der Black Panther Party, die den gleichen Nachnamen trägt, aber nicht mit Mutulu Shakur verwandt ist, genießt seit 1984 politisches Asyl in Kuba. Nach dem Willen der US-Justiz sollte auch sie ihr Leben im Knast beschließen, in Kuba ist sie jedoch vor ihren rachsüchtigen Verfolgern sicher.

Dem Gesetz nach hätte Shakurs Reststrafe schon seit 2016 zur Bewährung ausgesetzt werden können. Doch die Bewährungskommission verweigerte ihm dieses Recht insgesamt neunmal, zuletzt 2021. Shakur werde jetzt entlassen, »um außerhalb der Gefängnismauern zu sterben«, empörte sich Margaret Kimberley, Chefredakteurin der Onlineplattform Black Agenda Report am Donnerstag in ihrer Kolumne »Bittersüße Freiheit für Mutulu Shakur«. Denn bei dem 72jährigen Langzeitgefangenen wurde im Juni 2022 Knochenkrebs mit einer Überlebenschance von sechs Monaten diagnostiziert. Er werde jedoch erst am 16. Dezember 2022 freigelassen, so Kimberley, »weil der Staat entschlossen sei, ihn bis zu seinem letzten Atemzug hinter Gittern zu halten«.

Die Gerichte hätten gegen Gesetze verstoßen, weil sie ihn so lange in Haft hielten. Trotz seiner Diagnose »Krebs im Endstadium« sei ihm sogar eine bei Gericht beantragte Haftentlassung aus humanitären Gründen verweigert worden. Der Richter, der diese Entscheidung traf, ist derselbe, der ihn 1988 zu 60 Jahren Knast verdonnert hatte. Dieser Richter, Charles Haight Jr., hatte 2020 entschieden, sollte sich Shakurs Zustand derart verschlechtern, »dass er sich dem Tode nähert«, könne er sich »erneut an das Gericht wenden und seine vorzeitige Entlassung beantragen«.

Shakur befindet sich im Haftkrankenhaus Federal Medical Center in Lexington (Kentucky). Nach Auskunft seiner Anwälte wiegt er noch 56 Kilogramm, ist bettlägerig und wird mit Chemotherapie behandelt. Er sei »zu krank, um Besuch zu empfangen, da sein Immunsystem völlig geschwächt ist«. Nach schließlich erfolgreicher Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten könne »Mutulu nun seine letzten Tage in Freiheit verbringen, umgeben von der Liebe und Fürsorge seiner Familie und enger Freunde«, so sein Anwalt Brad Thomson.

»Weil ich mein ganzes Leben lang Teil des Kampfes um unsere Befreiung war, werde ich nicht kapitulieren«, zitierte Liberation eine Aussage Shakurs aus der Zeit des endlosen Kampfes um seine Freilassung. Er habe »mit seinem revolutionären Optimismus immer an unserer Seite gekämpft, uns geheilt, uns motiviert und für uns agitiert«, egal, ob er als Arzt in den Ghettos mittels Akupunktur für die Heilung von Drogengiften gekämpft oder im Knast seinen Mitgefangenen Orientierung gegeben habe. Sein Beispiel mahne, »sich verstärkt für die Freilassung aller politischen Gefangenen einzusetzen«.

Jürgen Heiser, Junge Welt 19.11.22