Der anstehende Prozeß gegen Sonja Suder und Christian Gauger muß aufmerksam begleitet werden. Ein Gespräch mit Anne Dietz
Anne Dietz ist Sprecherin des Solidaritätskomitees für Sonja Suder und Christian Gauger
Seit neun Monaten sitzt die 79jährige Sonja Suder, die gemeinsam mit ihrem 70jährigen Lebensgefährten Christian Gauger bei den »Revolutionären Zellen« (RZ) aktiv gewesen sein soll, in Frankfurt am Main in Untersuchungshaft. Was wird ihnen vorgeworfen?
Ihnen werden drei Sprengstoff- bzw. Brandanschläge im RZ-Zusammenhang vorgeworfen und Sonja Suder außerdem eine Beteiligung an dem Überfall auf die OPEC-Konferenz 1975. Nach Angaben des Kronzeugen Hans-Joachim Klein soll sie dafür Waffen transportiert haben, die jedoch gar nicht eingesetzt wurden.
Den Brandanschlag auf die MAN-Werke in Nürnberg begründeten die RZ in einem Bekennerschreiben mit der Beteiligung des Unternehmens am Atomgeschäft, es lieferte Verdichter für eine Urananreicherungsanlage in den Apartheidstaat Südafrika. Ein Attentat auf die Klein, Schanzlin & Becker AG (KSB) in Frankenthal galt der Herstellung von Pumpen für Kernkraftwerke. Die Aktion gegen das Heidelberger Schloß richtete sich gegen massive Stadtsanierungsmaßnahmen.
Die Vorwürfe beruhen auf angeblichen Äußerungen von Hermann F., dem 1978 ein Sprengsatz auf dem Schoß explodierte, wodurch er Augenlicht und beide Beine verlor. Während er zwischen Koma und Wachzustand um sein Leben kämpfte, vollgepumpt mit Psychopharmaka, saßen Tag und Nacht Beamte am Krankenbett. Er wurde über Monate total von der Außenwelt abgeschottet und verhört. F. beschrieb dies später als folterähnliche Verhörsituationen, in denen er selbst keinerlei eigene Orientierung hatte. Das Verhörmaterial wurde dann als das von »Vernehmungen« deklariert, die nun auch gegen Sonja Suder und Christian Gauger verwendet werden sollen.
Das Frankfurter Oberlandesgericht, OLG, stellte jüngst fest, bei Sonja Suder bestehe »besonders hoher Fluchtanreiz«, sie müsse deshalb weiter in Haft bleiben. Wie erklären Sie sich, daß die Verfolgungsbehörden und die Justiz offenbar noch immer Angst vor einer so betagten linken Aktivistin haben?
Die Haftentscheidung ist zynisch, denn das OLG begründet eine Fluchtgefahr besonders mit dem hohen Alter Sonja Suders. Die Justiz will offensichtlich über die Haft eine Aussage erzwingen, weil auch dem Gericht klar ist, daß der unglaubwürdige Kronzeuge Klein keine überzeugenden Beweise liefert.
Die letzte Aktion der »Revolutionären Zellen« fand 1992 statt. Woher kommt der übereifrige Verfolgungswille 20 Jahre danach?
Es geht um die Deutungshoheit über die Geschichtsschreibung sowie um Abschreckung, also letztlich auch um eine Machtdemonstration, wer am längeren Hebel sitzt. Der bewaffnete Kampf ist vorbei, aber der Staat verhält sich im Sinne von »wir kriegen euch alle« und verfolgt Menschen Jahrzehnte lang, obwohl die Tatvorwürfe auf nicht verwertbaren bzw. unglaubwürdigen Angaben beruhen. Zudem hoffen die Behörden mit der Haft als Druckmittel auf Aussagen, die Hinweise ergeben, um andere verfolgen zu können. Damit haben sie ja leider auch öfter Erfolg, etwa wenn Deals gemacht werden, z. B. Aussagen gegen Haftverkürzung und -verschonung.
Sonja Suder und Christian Gauger wurden bereits im September 2011 aus Frankreich an die BRD ausgeliefert. Warum wurde der Prozeß bisher noch nicht eröffnet?
Weil das Gericht offensichtlich glaubte, daß Sonja unter dem Druck der Haft Aussagen macht. Denn die Anklage liegt schon seit November 2011 vor. Die Justiz kam aber mit den unterschiedlichsten Begründungen – mal wurde ein Richter ausgewechselt, mal war das Gericht überrascht, daß Christians Verhandlungsfähigkeit überprüft werden mußte. Er hat seit einem Herzstillstand im Jahr 1997 massive Erinnerungsprobleme. Uns scheinen das alles fadenscheinige Gründe zu sein, um die Haft von Sonja Suder zu verlängern. Der Ausgang des Prozesses ist völlig offen. Zwar hat die Vorsitzende Richterin bisher keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie beide unbedingt verurteilen will. Ob sie damit durchkommt, ist eine politische Frage und hängt auch von uns ab.
Welche Möglichkeiten gibt es, Solidarität zu üben?
Es ist wichtig, den Prozeß öffentlich und kritisch zu begleiten. Dabei muß klargemacht werden, daß drei der Anklagepunkte auf unter folterähnlichen Bedingungen gewonnenen Äußerungen beruhen. Es darf nicht sein, daß derart zustande gekommene Erkenntnisse in einem Prozeß überhaupt verwendet werden. Es ist auch nicht hinnehmbar, daß die Aussagen des Kronzeugen Klein, dem vor zehn Jahren schon Unglaubwürdigkeit von einem anderen Frankfurter Schwurgericht bescheinigt wurde, nun wieder für eine Verurteilung herangezogen werden.