Fulda in den späten 70er Jahren war ein schwarzes Nest, wo Oberbürgermeister Dregger (CDU-Rechtsaußen) und Bischof Dyba (christlicher Fundamentalist) den Schlaf der Stadt bewachten. Doch knapp 50 Kilometer entfernt in Bad Hersfeld, gab es eine Oase der Freiheit, ein Buchcafe, geleitet von Peter O.Chotjewitz und Renate Chotjewitz seiner damaligen Frau, die als Lehrerin Berufsverbot hatte. Chotjewitz war schon in Italien gewesen und hatte sogar Andreas Baader verteidigt, erzählte man sich im Flüsterton an den WG-Tischen der wenigen Fuldaer Linken. Der deutsche Herbst war noch nicht vorüber und hatte selbst in Osthessen seine Spuren hinterlassen.
Aber diesen Chotjewitz, den wollten alle mal sehen, schon weil er Andreas Baader gekannt hat. Für mich ergab sich die Gelegenheit, als auch nach Fulda durchsickerte, dass der Schriftsteller Erich Fried zu einer Lesung nach Hersfeld kommen sollte. Der hatte gerade Schlagzeilen gemacht, weil er den Neonazi Andreas Kühnen im Knast besucht hat. 50 Kilometer durch die osthessische Provinz zu trampen, war auch Mitte der 70er Jahre nicht einfach. Aber ich hatte es geschafft, pünktlich im Buchcafe anzukommen. Viele Menschen waren da versammelt, die vom Alter her meine Lehrer hätten sein können. Und tatsächlich fragte mich ein Freundlicher Alt-68er: Na, kleiner, kommen Deine Eltern auch noch‘“. Dafür revanchierte ich mich, als ich mich nach der Lesung als erster zu Wort meldete und mit Fried gleich auf seinen Kühnen-Besuch ansprach. Da staunten die linken Lehrer, dass „der Kleine, noch im Stimmbruch“ ohne Eltern auf der Veranstaltung war und sich auch noch zu Wort meldete und ihr Idol kritisierte.
Peter O.Chotjewitz, der die Veranstaltung souverän leitete, fand die Wortmeldung und die sich daran anschließende Kontroverse amüsant. Seitdem habe ich in unregelmäßigen Abständen von ihm gehört, mal kam ein neues Buch raus, mal schrieb er in einen Artikel in Freitag, Konkret oder Jungle World. Jahrzehnte später, als er die Autobiographie von Klaus Croissant geschrieben hatte, (Mein Freund Klaus) steigerte sich das Interesse zu einer regelrechten Begeisterung für den Autor. Denn Croissant hatte mich schon in den 70er Jahren fasziniert, ich hatte sein Bild aus einer Zeitung ausgeschnitten, an die Wand in meinen Zimmer aufgehängt und „Mein Freund Klaus“ darübergeschrieben. Das Bild hing bis Mitte der 80er Jahre dort. Ich lud Chotjewitz sogar nach Berlin zur Lesung ein und befragte ihn zum Buch und verschwieg auch nicht, dass ich der eigentliche Erfinder des Titels war. Dass hätte ich mir als osthessischer Jugendlicher nicht träumen lassen, als ich Chotjewitz zum ersten Mal sah. Und der hätte, wenn er sich noch erinnert hätte, sicher auch gestaunt, dass der „Kleine, der ja überhaupt nicht auf den Mund gefallen war und auch vor Kritik an Idolen nicht zurückschreckte, noch nach so langer Zeit den Traum von einer Sache, dem (Kommunismus) nicht abgeschworen hat. Vielleicht hat die damalige Begegnung im kleinen Bad Hersfeld, lang, lang ist es her, mit dazu beigetragen.